Interview mit Elske Brault

Sie scheinen auf Schauspieler zu stehen?

Wie kommen Sie darauf?

Nun, Ihr Roman… Und Sie sind mit einem Schauspieler liiert…

Im vergangenen Jahr hatte ich vier Liebhaber. Einer war Kellner, einer Monteur für Windkraftanlagen, einer Musiker und einer, tatsächlich, einer ist Schauspieler. Einzig verbindendes Merkmal aller vier ist, dass sie männlich, weiß und unter dreißig sind. Daraus zu schließen, ich hätte eine Vorliebe für eine bestimmte Berufsgruppe, scheint mir angesichts der Tatsachen eine ziemlich steile These. Aber vielleicht finden Sie noch was raus, wenn Sie besser recherchieren.

Besser recherchieren? Wie würden Sie das anstellen – so als Journalistin?

Gegenfrage: Würden Sie, wenn Mick Jagger in seiner Freizeit Gourmetküche herstellt, ihn als Koch bezeichnen? Journalistin war ich mal, Journalismus kann ich, aber Sie können vermutlich auch Fahrradfahren und haben sich mir dennoch nicht als Fahrradfahrer vom SPIEGEL vorgestellt.

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Zum Glück sind manche Sachen in Deutschland nach wie vor verboten. Und selbst die BILD versucht da nicht dran zu drehen. Beispielsweise haben die nicht versucht, die Proktologin von Charlotte Roche zu bestechen, um rauszukriegen, in wie weit die in „Feuchtgebiete“ der Erzählung zugrunde liegende und in „Schoßgebete“ zumindest erwähnte Analverletzung mit einem realen medizinischen Befund bei der Autorin übereinstimmt. In meinem Buch geht es um viele Dinge, nach denen „man Leute einfach nicht fragt“. Und das ist, wenn ich es mit meiner limitierten Bildung richtig verstanden habe, der Sinn von Literatur: Eine Reflexion zu ermöglichen in Bereichen, in die das Individuum anders nicht einzudringen vermag. Aber gleichzeitig findet die Diskussion über Literatur nicht mehr, wie im 19. Jahrhundert, in einem geschlossenen Zirkel statt. Sondern das literarische Geschichten-Erzählen steht im Wettbewerb mit vielen anderen Formen des Geschichten-Erzählens, im Kino, im Netz, in Boulevardzeitungen. Sie fragen mich, wie ich recherchieren würde? Da sagt die Autorin in mir: Am besten gar nicht. Am besten nur das Buch lesen, die Fragen notieren, die sich während der Lektüre aufdrängen, fertig. Und die Journalistin sagt das eigentlich auch, weil ich diesen Dammbruch hin zum Dschungelcamp nicht mitmachen will, weil ich das gern getrennt halten würde, die Literatur und das Leben, weil ich will, dass es im täglichen Machtkampf um Bedeutung Schutzzonen gibt, eben literarische Schutzzonen. Gleichzeitig muss ich immer wieder da raus in den Wortkrieg. Denn in der Schutzzone passiert halt nix. Worüber sollte ich da schreiben? Jetzt habe ich, glaube ich, komplett den Faden verloren. Also es ging irgendwie um „Nicht-Recherche ist die beste Recherche“. Hört sich an wie die Verhütungsmethode, die in meiner Jugend noch gelehrt wurde: „Einen Apfel essen. Stattdessen.“

Die Ich-Erzählerin in Ihrem Buch entdeckt als Verhütungsmethode Analverkehr. Ist das eine zufällige Übereinstimmung mit Charlotte Roche, diese Vorliebe für eine bisher von Heterosexuellen weniger genutzte Form der Penetration?

Zunächst mal: Nobody knows. Heteros haben vermutlich immer schon mindestens so intensiv Analsex praktiziert wie Schwule – sie haben bloß nicht darüber geredet. Dann gab es da diesen Pornodarsteller, Rocco Siffredi, der den Analfick als Höhepunkt einer Sex-Sequenz im Pornofilm quasi obligatorisch machte. Ist nun auch schon 25 Jahre her. Jetzt kommt kein Pornofilm mehr ohne eine Analszene aus – gemacht wird eben alles, was geht.

Charlotte Roche gebührt das Verdienst, den Analverkehr in die Literatur eingeführt zu haben. Ich glaube aber, dass dies nicht ganz zufällig nahezu zeitgleich mit dem Erscheinen des Fesselsex-Schinkens „Shades of Grey“ passierte. Das Problem des Feminismus ist doch, dass die Feministinnen gesagt haben: Wir wollen gleiche Rechte wie die Männer, auch beim Sex, wir wollen uns jeden greifen können, wir wollen alle Tabus rund um unsere Muschi brechen, freier Zugang für die Menschheit zu unserer Vaginalzone. Damit war die Vagina dann aber auch entzaubert, da konnte jeder rein – uninteressant. Also hat sich erst der Porno, dann die Literatur die nächste Tabuzone vorgeknöpft. Eine Rolle spielt sicher auch, dass mit der Einwanderung aus muslimischen Ländern eine Sexmethode sich weiter verbreitet, die das geheiligte Jungfernhäutchen intakt lässt.

Also Sie fragen ja immer nach zweierlei: Nach dem Leben und dessen Verarbeitung im Buch. Und da würde ich sagen: Ich vermute, Analverkehr hat zwischen Heteros tatsächlich zugenommen, ist selbstverständlicher geworden, ist weitgehend kein Tabu mehr. Aber dass er so ausführlich beschrieben wird, hat gleichzeitig damit zu tun, dass Autoren und Autorinnen in ihrem literarischen Konstrukt nach einer körperlichen Entsprechung suchen für seelische Vorgänge. Wenn die Heldin ihrem Lover zu verstehen geben will: Du bist etwas ganz Besonderes, so wie du mit mir schläfst, tut es kein anderer, dann sagt sie eben im Jahr 2016: „Nimm den Hintereingang.“

Auch wenn es da ein bisschen schmutzig ist…

Ja, diese Kot-Szene ist wirklich widerlich, nicht wahr? Ich kann das selbst nicht lesen – aber muss ich ja auch nicht, ich habe es geschrieben, da muss ich es zum Glück nicht immer wieder lesen.

Sie machen keine Lesungen aus dem Buch?

Ich habe viele andere Texte, aus denen ich lesen kann und die zu inszenieren mir wesentlich mehr Freude macht als dieser Roman! Aber ein Freund versucht jetzt gerade, mich zu einer Hörbuch-Fassung zu bewegen. Er beschwört mich geradezu, seitdem ich ihm leicht angetrunken ein Stückchen vorgelesen habe. Ich bin nicht so sicher, ob ich auch in nüchternem Zustand den Text weit genug von mir weg rücken kann. Und dann hören viele Leute Hörbücher auf der Autobahn, und so viel intimer Verkehr mitten in dichtem Verkehr – meinen Sie nicht, das erhöht die Unfallgefahr? Also ich habe schließlich auch eine Verantwortung. Lesern und Hörern gegenüber.

Frau Brault, wir danken für dieses Gespräch.

Das Gespräch wurde am 17. November 2016 geführt.