Mein Leben mit Adrien Brody (8)

Die E-Mail trifft mich wie ein Keulenschlag: „Adrien Brody Klimabotschafter bei realities:united“. Konkret handelt es sich um die Einladung zu einer Pressekonferenz am nächsten Tag in der Berlinischen Galerie. Im vergangenen Jahr habe ich ein Interview mit Agenturchef Jan Edler geführt, und nun bitten er und sein Bruder Tim mich, ihre erste Ausstellung zu begutachten. Die dreht sich um Dampfringe: Die Kühltürme von Atom- und Kohlekraftwerken werden kurz vor ihrer Abschaltung riesige Ringe aus Wasserdampf in den Himmel blasen. Natürlich nur in Deutschland: Doch Adrien Brody trägt die gute Idee weiter in die USA.

 Wiedersehen im Museum

Mein Herz rast, meine Kehle ist zugeschnürt, als ich am nächsten Tag die Berlinische Galerie betrete. Noch wenige Minuten, dann werde ich Adrien tatsächlich wiedersehen! An der Anmeldung versorgt mich eine freundliche Dame mit Pagenkopf und zarten, von Goldringen geschmückten Händen mit einer Mappe voll Informationsmaterial. Ich blättere rasch durch: Bis 2038 werden alle Atom- und Kohlekraftwerke in Deutschland still gelegt sein, prognostizieren die Edler-Brüder. Ihre Dampfringe-Installation soll für ein Sterben in Schönheit sorgen. Adrien Brody hätten beide zufällig bei der Betreuung eines anderen Projektes vor zwei Jahren in Los Angeles getroffen. Damals sei noch nicht ganz klar gewesen, ob die Energiewende-Schau überhaupt in der Berlinischen Galerie zustande komme. Aber der „Oscar-Preisträger“ (so wird er bezeichnet) habe bereits zu diesem frühen Zeitpunkt zugesagt, als leibhaftiger Repräsentant der guten Idee zur Verfügung zu stehen und zum Gesicht der Kampagne zu werden.
Ich klappe die Pressemappe wieder zu und laufe durch einen hohen, engen, weiß gestrichenen Raum. Einziges Ausstellungsstück darin ist ein Video: Unablässig pladdert Wasser in einem Tunnel von der Decke, nässt den Boden und die Stützstreben des von der Kamera erfassten Gebäudeabschnitts. Das ständige Rauschen des Wassers, eine Art Starkregen, scheint ein ironischer Kommentar auf die vor dem Museumsbau herrschende Dürre: Bei meiner Fahrrad-Fahrt durch den Gleisdreieck-Park bin ich bereits den ersten Rasensprengern begegnet, und in Brandenburg gilt die höchste Waldbrandgefahrenstufe. Wie schön wäre es, denke ich, ließe sich der Regen aus dem Video nach draußen transportieren. Dann höre ich, wenngleich zunächst nur schwach durch das Regengeräusch, Adriens Stimme.

Adrien Brody steht vor einem Schaubild voller gelber, grauer, brauner Kühltürme

Ein weiterer, enorm hoher weißer Raum tut sich vor mir auf. Auf seiner rechten Seite ist ein Schiefergebirge auf die Wand gemalt: Eine graphische Darstellung des CO2-Ausstoßes aller Atom- und Kohlekraftwerke in Deutschland. Noch türmt das Schiefergebirge sich hoch auf, doch angesichts der Abschaltung bis 2038 wird es schließlich ganz verschwinden. Adrien steht vor einer Tafel an der Stirnseite des Raumes, genau gegenüber der Öffnung, durch die ich gerade eingetreten bin. Zwischen uns ein gut 15 Meter langer Tisch mit Schwarz-Weiß-Fotos und Erläuterungen und ein paar hübschen Kühlturm-Modellen aus Holz. Das Schaubild hinter Adrien zeigt, wo in Deutschland sich die auf den Fotos abgebildeten Kraftwerke befinden.

Er sieht mich – und lächelt. Er schaut mich an, während er weiter in das Mikrofon spricht und den Journalisten erklärt, welche Gesetze für Kllima- und Umweltschutz der frühere US-Präsident Barack Obama verabschiedet habe. Und welche der aktuelle Präsident Donald Trump nun wieder aufgehoben habe. Einmal mehr erstaunt mich Adriens profundes Wissen in Sachen Politik und Zeitgeschichte. Kohlekraftwerke, so sagt er, würden trotz der von Donald Trump gelockerten Umweltauflagen keine Gewinne mehr abwerfen. Ein Problem sei allerdings, dass ein besonders großes Kraftwerk in einem Indianer-Reservat stände und dort den letzten Ureinwohnern einen Arbeitsplatz biete.

Boulevardmagazine erwähnen die Energiewende – weil Adrien Brody für sie eintritt

Ich schiebe mich durch die Grüppchen zuhörender oder mitschreibender Pressevertreter ein Stückchen weiter nach vorn, bis ich nur noch etwa acht Meter von Adrien entfernt bin. Er achtet darauf, sich korrekt zu benehmen und sich mal dieser, mal jener Gruppe zuzuwenden. Doch stets, wenn sein Blick sich auf mich heftet, durchläuft mich ein Schauer. Es ist so unfassbar, dass er erneut greifbar vor mir steht. Ich möchte fliehen, mich irgendwo verstecken, die Begegnung mit ihm vermeiden. Und doch bleibe ich stehen und halte es aus, dass er mich immer wieder anschaut.

Jan Edler ergreift jetzt das Mikrofon und erläutert den weiteren Ablauf der Pressekonferenz: Er und sein Bruder Tim würden kurz durch die Ausstellung führen und anschließend Fragen beantworten, danach stände Adrien Brody noch einmal für Einzelinterviews zur Verfügung. „So ein Mist“, seufzt ein Kameramann des Fernsehsenders Vox neben mir, „die lassen uns nicht an ihn ran, ehe sie nicht ihr Programm abgespult haben.“ Erst jetzt bemerke ich, wie viele Berichterstatter von Klatschmagazinen sich in der Menge befinden: Eine blond gefärbte, hoch gewachsene Kurven-Queen mit aufgespritzten Lippen wippt unruhig auf ihren mit Metallbändern verzierten schwarzen Stiefeletten. Ein Sonnenstudio gebräunter Botox-Nutzer mit kantigem Kinn nestelt am gepunkteten Einstecktuch seines knallroten Blazers. Sie sehen beide nicht so aus, als wenn die Energiewende oder die Zukunft des Planeten sie sonderlich interessieren würden. „Adrien“, möchte ich rufen, „Adrien, komm, rette mich, lass uns von hier verschwinden auf eine einsame Insel.“ Ich könnte so abkotzen vor Ungeduld und Unduldsamkeit, angewidert von all den Menschen um mich herum, von dem medialen Zirkus, in dem Adrien Brody bereitwillig das Zirkuspferd gibt. Zugleich bin ich durchdrungen von Hochachtung für Jan und Tim Edler: Zäh und zuversichtlich arbeiten sie daran, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sie TUN etwas, während ich bloß jammere, sie haben diese Ausstellung auf die Beine gestellt, und sie haben Adrien, Adrien Brody, zu mir zurückgebracht.

Und jetzt kommt er auf mich zu. „Hi Elske, how are you?“ Die Blondine boxt ihren Kameramann in die Seite, das erste Objektiv richtet sich auf uns. Von nun an steht alles, was ich tue oder sage, unter Beobachtung, aber wenn ich Adriens Blick erwidern, wenn ich Worte mit ihm wechseln will, werde ich das ertragen müssen. Und ja, ich will.

Hitze aus dem Inneren des Kühlturms

Von drei Kameras verfolgt, schlendert der etwas verschlafen wirkende Herr Brody mit mir in den kleineren Raum, aus dem ich gerade gekommen bin. Jan und Tim Edler beginnen derweil ihre offizielle Führung mit jenen Journalisten im Gefolge, die vornehmlich der Ausstellung wegen gekommen sind. Adrien bemerkt meine Blicke und erklärt: „For the exhibition I have several interview appointments, but I would like to show you something I myself had not seen before.“ Er erzählt mir, dass er erst gestern Abend gelandet sei, leicht unter Jet-lag leide, und bleibt dann vor der Regen-Installation stehen, dem Bildschirm mit der Endlos-Schleife herab rieselnden Wassers. „You know what that is?“, fragt er. Nein, ich weiß es nicht. Aber nun erfahre ich es: Dies ist der Kühlturm eines Atomkraftwerks, ein Bild aus dem Inneren des Turms. Die physikalischen Prozesse verstehe ich nicht, aber mir ist klar, dass dieser Raum eine verbotene Zone ist. Das plätschernde Wasser sorgt in irgendeiner Form dafür, dass es nicht zu einer Überhitzung des Atomkerns kommt und somit zu einem GAU – jedenfalls stelle ich es mir so vor. Lädt das Kondenswasser sich radioaktiv auf? Warum fällt es einerseits zu Boden und entweicht andererseits als Wasserdampfschwaden aus dem Kühlturm?

Ein Zittern durchläuft mich, ich bekomme Gänsehaut. Adrien legt seinen Arm schützend um meine Schultern. Blitzlichtgewitter. „Give me your business card“, flüstert er mir zu. Mechanisch greife ich in meinen Lederbeutel, wühle nach meinem Portemonnaie, ziehe eine Visitenkarte hervor. „I can’t stay, I will call you“, wieder so leise gewispert, dass die umstehenden Boulevard-Haie es nicht mitbekommen. Und mit diesen Worten verabschiedet Adrien Brody sich von mir und geht zurück in den Hauptraum der Ausstellung. Ich bleibe zurück vor dem, was Adrien nach eigener Aussage genau wie ich nie zuvor gesehen hatte, dem Video aus dem Inneren eines Kraftwerk-Kühlturms. Das Wasser hört nicht auf zu rauschen. Ich fühle mich ausgeliefert, abhängig von einer mir unverständlichen Technologie. Höhere Mächte walten. Mein winziger Spielraum beschränkt sich darauf, die Visitenkarte mit meiner Telefonnummer weiterzureichen und abzuwarten. Womöglich wird Adrien Brody sich bei mir melden. Oder es war nur eine Laune, oder er wollte sich mir, einer Zufallsbekanntschaft, gegenüber höflich benehmen. Vielleicht ruft er an. Vielleicht wirft er meine Visitenkarte in seinem Fünf-Sterne-Hotelzimmer in den Müll.

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