Brief an die Psychologenschlampe

Liebe Crissy,
es tut mir leid, dass ich dich eine „Psychologenschlampe“ genannt habe. Selbstverständlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass du Psychologie studierst. Es kommt ja darauf an, was du daraus machst.


Und du bist auch keine Schlampe. Ja, selbst wenn du eine wärest oder irgend jemand dich als solche bezeichnen würde, wäre das nur ein Grund, sich mit dir zu solidarisieren und einen Schlampenclub zu gründen oder am besten gleich den Verband deutscher Schlampen e.V.

Ziel dieses Vereins wäre es, der Abwertung erfolgreicher weiblicher Eroberungsstrategien entgegenzutreten durch präzise Verbalschläge in die Fresse von Mario Barth.

Psychologie für oder gegen den Mitmenschen

Aber um all das geht es ja gar nicht und ist es auch nicht gegangen an dem Abend, da meine aggressive Abwehrhaltung sich für einen kurzen Augenblick gegen dich richtete. Du hattest in unserem Rollenspiel eine Auswertung unserer Aussagen und Verhaltensweisen vorgenommen: Das ähnelte unwillkürlich jenen Multiple-Choice-Tests, mit denen Firmen einen in Internetumfragen traktieren. Scheinbar ist es Ziel dieser Befragungen, das Produkt besser auf den Kunden zuzuschneiden. Nur werden gleichzeitig wir Kunden besser zugeschnitten in Hinblick auf das Produkt. Wir sollen wählen innerhalb einer begrenzten Palette von Antworten, automatisch werden unsere Wünsche zurechtgestutzt, eingekürzt auf die vorgegebene Palette. Heerscharen von Psychologen helfen dabei, die schwer fassbare, fluide Natur unseres Begehrens zu zersplittern in ja oder nein, Nullen und Einsen, damit emsige Algorithmen uns ausrechnen und unsere Seelen versklaven können.
Gerade jetzt, kurz vor Beginn der Adventszeit, beschäftigen mich diese Mechanismen der Moderne.
Ich sehe Löckchenomis in Bahnhofsgeschäften vor der Auswahl an Barbiepuppen. Sie wollen ihren Enkelinnen etwas mitbringen zum Sonntagskaffee kurz vor Weihnachten. Sie wollen zeigen, dass sie an diese Enkelinnen liebevoll gedacht haben. Aber sie konditionieren die künftigen erwachsenen Frauen damit auch auf Titten, Arsch und Wespentaille, 90 – 60 – 90. Sie sind Opfer einer weltweiten Plaste- und Elaste-Industrie, aber als Käuferinnen auch Täter.

Mädchen normieren

Schönheitsideale aus Plastik, von Maschinen in die immergleiche Form gestanzt, zur Puppenprinzessin aufgemotzter Billigkunststoff, der bei der Verbrennung giftige Gase absondert. Die individuellen Gefühle der jeweiligen Großmütter, ihre höchst unterschiedlichen Rollenangebote für eine nachfolgende Generation, werden so gebündelt und in einen simplen Tauschvorgang gezwängt: Ware gegen Geld. Barbiepuppen für alle. Was, du hast nicht genug, deiner Enkelin eine Barbiepuppe zu kaufen? Dann bist du eine schlechte Oma. Merke: Die Reichen regieren die Armen nicht allein mit ihrem Geld. Sie setzen vielmehr auch die herrschenden Wertvorstellungen, prägen das ästhetische Empfinden, installieren ihren Lebensstil als erstrebenswert.

Unberechenbar bleiben

Gegen Psychologie als die Lehre von der Seele des Menschen ist nichts einzuwenden. Wohl aber dagegen, dieses Wissen einzusetzen zur Konditionierung und Eingrenzung des Individuums. Diese Tendenz, Wissen und Einfühlungsvermögen GEGEN andere zu verwenden, habe ich für einen kurzen Moment bei dir verspürt, liebe Crissy, wenngleich nur im Spiel. Da habe ich zugeschlagen. Ich bin eine Hexe wie du, Crissy, ich weiß um die Macht von uns Frauen. Gerade deshalb weiß ich auch, dass wir uns immer wieder am Riemen reißen müssen. Wir dürfen, wir sollen unsere Macht mutig einsetzen, doch stets nur in Demut vor der Freiheit unseres Gegenübers. Sicher, es war nur ein Spiel. Doch wir testen im Spiel den Ernstfall. Und ganz im Ernst will ich mich nicht ausrechnen lassen. Unberechenbar zu bleiben, ist meine größte Freiheit und mein täglich zu verteidigender Spielraum.

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