Sommernachtstraum im Harz

Von Berlin aus dreieinhalb Stunden mit Regionalzügen und schließlich einem Bus nach Altenbrak im Harz zu fahren, nur um dort ein Theaterstück anzusehen, das muss man schon wirklich wollen. Dort hat in der Waldbühne, einem in den Hügelanstieg hineingebauten natürlichen Amphitheater, „Ein bisschen Sommernachtstraum“ von Ina Kwiatkowski Premiere. Wie der Titel sagt, ein Sommernachtstraum light: Statt über die Schauspielverrenkungen der Handwerkertruppe lässt Kwiatkowski lachen über echte Schauspieler bei den Proben zu Shakespeares Stück. Dessen Personal ist reduziert auf Oberon und Puck und die beiden von Zauberkräften verwirrten Liebespaare: Wir sehen auf der Waldbühne den Proben zu. Die Schauspieler maulen über den altmodischen Text, der Regisseur brüllt, lockt, lässt Spielweisen ausprobieren: „Oberon, du schwebst wie ein Ufo auf die Bühne. Und dann mach das wie, hm, wie Darth Vader. Und du, Antonia, du machst den Puck wie Gollum.“

Ein Denkmal für Herrn von Langen, Forstmeister bis 1776

Den Zauber Shakespeares entdecken

Was sich albern anhört, hat doch den gewünschten Erfolg: Im Wechsel zwischen Gangster-Rap, Pantomime und der Shakespeare-Übersetzung in Versform wird der unzerstörbare Kern des 400 Jahre alten Werkes einem Publikum nahe gebracht, dessen Verständnis von Liebeswerben und Poesie sich bis dahin auf Matthias-Reim-Hits beschränkte: Kwiatkowskis Stück ist eine Spassrutsche von der Umgangs- in die Shakespeare-Sprache. Die etwa 100 Zuschauerinnen und Zuschauer im 900 Menschen fassenden Freiluftsaal sind denn auch ehrlich begeistert, aber dafür bis nach Altenbrak? Das muss man schon wirklich wollen.

Grandioser Hauptdarsteller

Ich will wegen Gabriel Stohler Mauch. Dem bin ich zum ersten Mal 2012 bei der Diplominszenierung meiner Schwägerin an der Hanns-Eisler-Hochschule in Berlin begegnet, damals sagte die Regisseurin über ihn: „Gabriel ist der intelligenteste von meinen Schauspielern.“ Die weitere Entwicklung von Gabriel Stohler Mauch habe ich seitdem aus der Ferne verfolgt, habe 2019 ein von ihm mit inszeniertes Zwei-Personen-Stück in Berlin gesehen. Dabei brillierte er wie jetzt auch hier in Altenbrak mit seinen artistischen Fähigkeiten und einer magischen Bühnenpräsenz. Stohler Mauch spielt in „Ein bisschen Sommernachtstraum“ den Regisseur, und zwar so überzeugend, dass man zunächst glaubt, es handele sich gar nicht um ein fertiges Stück, sondern tatsächlich um die Mitschrift eines Probenprozesses, das Ergebnis einer an Berliner Bühnen beliebten Stückentwicklung. In Lederweste und Shorts schnauzt Stohler Mauch als Macho-Dompteur seine Darsteller an: „Und jetzt mit Text!“

Stück im Stück: Darsteller kurz vor der „Sommernachtstraum“-Premiere

Aus Schwulenwitz wird Theaterwahrheit

Wie üblich verblüfft er mit sportlichen Einlagen, so die mit nur einer Hand abgestützten Sprünge über mehrere hüfthohe Zuschauerraum-Begrenzungen, aber vor allem rettet die Natürlichkeit seines Spiels über seichtere Textstellen hinweg. Zum Beispiel, wenn der Kostümbildner anruft und der anschließende Dialog mit der Regieassistentin andeutet, der Regisseur habe dessen Einsatz mit körperlichen Gefälligkeiten entlohnt. Aus einem auf billigen Schwulenklischees beruhenden Witz wird bei Stohler Mauch ein Gender unabhängiges Gesetz der freien Theaterszene: Wer was umsonst will, muss sich ficken lassen. Und diese Wahrheit präsentiert er mit solcher Beiläufigkeit, dass sie nicht mal mehr traurig wirkt.

Der Weg in die Zukunft im Ostharz

Soljanka auf dem Minigolf-Platz

Den Theaterabend muss man natürlich als Gesamtpaket sehen, als einen schönen Wochenendausflug, ein Raus-aus-der Stadt in die verwunschene Harz-Provinz. Hier gibt es am Imbiss neben dem Minigolfplatz nichts Vegetarisches, sondern Gulaschsuppe oder Soljanka und die Auswahl zwischen Bockwurst, Bratwurst und Currywurst. Hier spielt der Taxifahrer, den man braucht, weil man den nur viermal täglich verkehrenden Bus wegen Bahnverspätung dann doch verpasst hat, die bereits erwähnten Matthias-Reim-Hits, du ich lieb dich, ich lieb dich nicht, Abklatsch-Version der Gefühlsverwirrungen im Shakespearschen Zauberwald. Hier gibt es allerdings auch tatsächlich noch viel Wald mit erstaunlich einsamen Wanderwegen.

Einladung zur Wildwasserfahrt auf dem Flüsschen Bode

 

Auf einem von ihnen begegne ich einem alten Imker, der mich ein Stück in seinem Wagen mitnimmt („wenn se keine Angst vor de Bienen habe“) und mir erklärt, dass er die Bienen mit Rauch dazu bringe, sich zusammenzuziehen und im Stock zu bleiben, so kann er die Bienenkästen umsetzen. „Ich würd den Rauch ja nach drausse werfe, aber das geht ja jetzt net, wegen de Waldbrandgefahr.“ Die Klimaveränderung ist also auch hier gegenwärtig, nur die Sitten des Fleischkonsums haben sich dem noch nicht angepasst. Umso wichtiger, dass Theaterstücke die Kunde vom Wandel der Männer- und Frauenrollen auch in diesen vergessenen Winkel tragen und die Harztouristen sanft und komisch an Shakespeare heranführen. Denn auch in dessen Sommernachtstraum geht’s im Kern um du ich lieb dich, ich lieb dich nicht. Bloß ein bisschen variantenreicher und eleganter formuliert.

„Ein bisschen Sommernachtstraum“ von Ina Kwiatkowski
Premiere 16.07.2022 Waldbühne Altenbrak
Produktion „Theater der Tiefe“, Regie Jens Schmidt
mit Sven Mein, Julia Schmidt, Lara Gericke, Gabriel Stohler Mauch, Marwin Funck, Isa Etienne Flaccus, Annika Nippoldt, Markus Bölling
Nächste Aufführungen 23., 29., 30. Juli, 5., 6., 19., 20., 21. August

Mein Leben mit Adrien Brody (8)

Die E-Mail trifft mich wie ein Keulenschlag: „Adrien Brody Klimabotschafter bei realities:united“. Konkret handelt es sich um die Einladung zu einer Pressekonferenz am nächsten Tag in der Berlinischen Galerie. Im vergangenen Jahr habe ich ein Interview mit Agenturchef Jan Edler geführt, und nun bitten er und sein Bruder Tim mich, ihre erste Ausstellung zu begutachten. Die dreht sich um Dampfringe: Die Kühltürme von Atom- und Kohlekraftwerken werden kurz vor ihrer Abschaltung riesige Ringe aus Wasserdampf in den Himmel blasen. Natürlich nur in Deutschland: Doch Adrien Brody trägt die gute Idee weiter in die USA. „Mein Leben mit Adrien Brody (8)“ weiterlesen

Mein Leben mit Adrien Brody (7)

Adrien Brody ist aus meinem Leben verschwunden, doch der Karfreitag bringt die Erinnerung an die Begegnung mit ihm zurück. Karfreitag fällt in diesem Jahr auf den 19. April, Tag des Gedenkens an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Den hat auch der von Adrien verkörperte Pianist erlebt – und als einer von ganz wenigen überlebt. Adrien hat seinen Körper, seine Stimme Władysław Szpilman geliehen, und ebenso schicke ich mich an, für eine Tote zu sprechen: eine Ermordete des Ghettos. Ihre Worte haben ihren Tod überdauert. „Mein Leben mit Adrien Brody (7)“ weiterlesen

Mein Leben mit Adrien Brody (6)

Als ich um kurz nach acht Uhr abends die City-Station verlasse, nehme ich mir fest vor: „Ab jetzt viel fröhliche Aktivität!“ Die Arbeit dort konfrontiert mich jedes Mal aufs Neue mit Fragen, die ich nicht beantworten kann. Welches merkwürdige Schicksal regiert, oder welcher Dämon in jedem einzelnen von uns, dass die einen Krisen meistern und ihr Leben genießen können, die anderen hingegen verzweifeln und scheitern? Was macht die einen reich und die anderen obdachlos?

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Mein Leben mit Adrien Brody (5)

Ein Mittwoch Ende März, City-Station am Kurfürstendamm, 15.40 Uhr: Ich beuge mich über ein großes Holzbrett in der Küche und zerteile rote Paprikaschoten. Das Food-Sharing-Team vom Vorabend hat eine ganze Kiste voll geschenkt bekommen. Durch die offene Tür beobachte ich Adrien Brody: Er sitzt an der Theke und unterhält sich mit Helen, einer alt gedienten Ehrenamtlichen: Sie ist mindestens Mitte siebzig und irgendwie schon immer da. „Mein Leben mit Adrien Brody (5)“ weiterlesen

Mein Leben mit Adrien Brody (4)

Adrien Brody kniet auf meinem Bett, hüpft auf und nieder und kitzelt mich durch. Der Typ spinnt doch! „Stop it, stop it!“, schreie ich. „It’s raining again“, singt Adrien. Ein Blick aus meinem Schlafzimmerfenster sagt mir, dass er leider recht hat. Es regnet mal wieder in Berlin. Mein herzallerliebster Hollywoodstar stellt das Rumgezappele auf meinem Bett für einen Moment ein und sagt: „Good women serve coffee in the morning.“ „Mein Leben mit Adrien Brody (4)“ weiterlesen

Mein Leben mit Adrien Brody (3)

Ich schlage die Augen auf und muss mich erst einmal sortieren. Es ist gestern Abend ein wenig später geworden. Ich hatte zum Glück noch eine Flasche 2012er Brunello di Montalcino im Schrank, Überbleibsel eines Sechser-Packs aus meinem letzten Toscana-Urlaub vor ein paar Jahren. Die hatte ich aufgehoben für eine besondere Gelegenheit, und ein Besuch von Adrien Brody in meiner düsteren, durchschnittlichen Küche, das kann man wohl als besondere Gelegenheit bezeichnen.

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Bitcoin-Wahnsinn beenden!

Der Bitcoin-Schwachsinn hat allein in der ersten Hälfte dieses Jahres mehr Strom verbraucht als der gesamte Staat Dänemark. Bitcoins existieren nur virtuell. Mit ihnen zu zahlen ist möglich, weil Menschen sich darauf geeinigt haben, sie als Tauschmittel zu akzeptieren. Das gilt im Prinzip auch für unser Geld. Mit einem großen Unterschied: Die Erzeugung von Bitcoins im weltweiten Netz fordert hohe Rechnerleistung – und damit Strom. „Bitcoin-Wahnsinn beenden!“ weiterlesen